1. Alltagswelten
Das erste Mal
Das erste Mal ferngesehen
1966 am zweiten Weihnachtstag bei den Großeltern
Die Schneekönigin in schwarz-weiß;
das zweite Mal, ein Jahr darauf
dieselbe Zeit, derselbe Ort
Peterchens Mondfahrt.
Das erste Mal im Kino gewesen
Das Dschungelbuch.
Das erste Mal eine Münze in einen Automaten geworfen
auf dem Drachenfels,
da bewegten sich in einem Glaskasten
lebensgroße Märchenfiguren
zu dem vorgelesenen Text.
Das erste Mal mit meiner Schwester
auf meinem blauen Roller den Hügel
von der Kirche runtergefahren,
die Bremse nicht gefunden
– lieb Schwesterlein saß genau davor –
die Fahrt wurde schneller.
Mein Vater sah von der Arbeit
im Vorgarten auf und rief etwas.
Die Schwester schrie und blieb sitzen;
ich landete im Graben und später
– mit einem Loch im Knie – beim Hausarzt.
Meine erste Narbe
und das letzte Mal,
dass mein Schwesterchen mit mir auf irgendwas gefahren ist.
Zum ersten Mal von zu Hause abgehauen
heimlich
hat außer mir niemand gemerkt
auf der langen Dorfhauptstraße
immer weiter gelaufen
zuerst ein Gefühl von Weite und Freiheit
dann keine Lust mehr gehabt
und reumütig wieder zurück.
Zum allerersten Mal in einer Gondel
über den Rhein gefahren
zusammen mit meinem Vater.
Eines der wenigen Male,
wo ich ihn ganz für mich alleine hatte
und mit niemandem teilen musste.
I. Henseler
Mein schönster Augenblick am Tag
ist das Frühstück, wie ich es mag
mit Müsli, Joghurt und Walnüssen
Ich nenne es Michelangelo
Kaffee und kalte Dusche
gegen etwas bleierne Gefühle
gähnen und strecken
Dann einmal richtig aufgewacht
kann der Tag kommen und gelingen
ora et labora et amora
So bin ich in der Welt
im Gebet des Alltags in meiner Mitte
im Geiste meiner neuen Errungenschaft
dass ich mich mit dem Guten beschäftige,
So scheint es ganz gut und gesund zu sein,
was ich an meinem Schlaf abmessen kann.
Von meinem bisherigen Wort muss ich
schweren Herzens weiter etwas Abstand nehmen
Im Dienst einer zunehmenden Ganzheitlichkeit.
So gibt es Tage, die tragen mich
wenn auch unter einer gewissen Kontrolle
Da bin ich zufrieden
und muss mich beschränken
nicht mehr zu verlangen.
Paul Kehren
Ein Krankenzimmer
ein Schrank
ein Tisch
ein Fenster
zwei Betten
zwei Stühle
ein Fenster
und Wolken
ein Hocker
ein Waschbecken
ein Fenster
und Wolken
die jagen davon
zwei Lampen
zwei Spiegel
ein Fenster
und Wolken
die jagen davon
die wollen zur Sonne
ein Papierkorb
eine Heizung
ein Fenster
und Wolken
die jagen davon
die wollen zur Sonne
die wollen davon
Annegrete Feckler
Sommerschnee
Meine Füße tragen mich,
doch sie seufzen unter der Last
Mein Herz stolpert immer wieder
Über die Steine der Unsicherheit.
Und dennoch hinterlasse ich Spuren,
ob ich will oder nicht.
Lebensträume verstecken sich in den Wolken.
Der Sommerschnee legt sich schwer
Auf die Pflanze des Selbstvertrauens.
Gern würde ich ihn beiseite schippen
Und MICH darunter entdecken,
doch es fehlt mir an Werkzeug.
Ob ich mir von der Sonne einige Strahlen ausleihen kann?
Gleich morgen früh werde ich sie fragen.
nn
Ich bin nicht nur dankbar
Ich bin nicht nur neidisch
Ich versuche meine Anteile zu integrieren
Ich weiß jeder Mensch ist gleich viel wert
Mir ist die Gerechtigkeit wichtig
Ich bin nicht nur kreativ
Ach, ich bin so vieles und so vieles nicht
Meine Ideale entsprechen nicht der Wirklichkeit
Es gilt, sie zu überprüfen
Oft hadere ich mit meinem Schicksal
Zerrissen betrachte ich die verbliebenen Traumfetzen.
Was wollte der Traum mir sagen?
Andrea Schumacher
Zug im Lebensbahnhof
Die Kraft
war da,
Wunder geschah.
Koffer,
schwer wie Blei
in Abstellkammer
ich stehe auf,
nehme den Zug
Richtung Heil!
Körper atmet
ein und aus,
frei.
Wunder als Wachsen
Reifen,
Wie eine Frucht!
Es bleibt genug Zeit,
um den Koffer auszupacken,
zu sortieren,
einzuordnen,
wegzuwerfen!
Kamran Djahangiri
Abendzeit
Der Tag ist vorbei
er ist gewesen
was bleibt sind die Erinnerungen
gute und schlechte
alle haben ihren Wert
ich lasse den Tag mit seinen Stationen an mir vorüberziehen
jede ist es wert angesehen und beachtet zu werden
jede hat ihren Sinn
jede hat eine Botschaft
welche von ihnen war die stärkste und eindrucksvollste
schwer zu sagen
ich denke
das Beet im Garten
ich habe es neu gestaltet
es war ganz einfach
wie ein Kunstwerk liegt es nun da
gestaltet aus Erde, Steinen, Pflanzen und roter Mulche
manchmal setzt sich ein kleiner Vogel auf einen Stein
dann ist er ein Teil des Beetes geworden
Wunder der Schöpfung
Elisabeth Masuhr