2. Verletzungen
Barfuß im Herzen
Den eisernen Heinrich, getreuer Diener des Froschkönigs, beneidete das Kind um seine Erlösung von den Banden, die sein brechen wollendes Herz hielten. Wie fühlte es sich an, frei atmen zu können?
Immer wieder musste die Großmutter das Märchen vom Froschkönig vorlesen und mit Spannung wartete das Kind auf die drei Kracher am Schluss, wenn der junge König das Zerbrechen des Wagens befürchtete, und es jedes Mal doch nur die eisernen Bande um die Brust des treuen Heinrich waren, die auseinanderbarsten, vor Freude, dass sein Herr endlich erlöst war. Das Kind wusste genau, wie so ein eiserner Ring um die Brust sich anfühlte; es war mit einem solchen zur Welt gekommen. Und nicht nur das, es waren ihm auch, kaum dass es laufen konnte, eiserne Stiefelchen angepasst worden, die seine kleinen zarten Füße drückten und zum Bluten brachten, in denen es nur schwerlich zu laufen vermochte, was allerdings den Vorteil hatte, dass es auf diese Weise stets in Rufweite der Eltern blieb.
Ich war wohl schon in der Schule, als ich mich das erste Mal traute, draußen heimlich barfuß zu laufen – im Wald hinter unserer Reihenhaussiedlung, nahe der alten Eiche, wo wir Kinder uns zum Spielen trafen. Einen kleinen Bach gab es dort, mit einem Bett aus Lehm und runden Steinen. Dort zog ich Schuhe und Strümpfe aus und verspürte sogleich ein wohliges Lustgefühl, als der weiche Waldboden und die Bachkiesel meine nackten Sohlen kitzelten, der feuchte Lehm durch die Zehen quaatschte und das eiskalte plätschernde Wasser die Füße sprudelnd umspülte. Diese hatten sich Hals über Kopf in die Tastgenüsse der Erde verliebt und wären am liebsten nur noch barfuß gelaufen…
In meinem Elternhaus jedoch war Barfußlaufen verpönt.
Warum, wagte ich, als ich älter war, zu fragen. Darum, war die Antwort meines Vaters, weil ich es so sage.
Eines Sonntags, ich war inzwischen zwanzig, kam ich barfuß zum Frühstückstisch. „Zieh dir Pantoffeln an!“, herrschte mich mein Vater an. „Ich möchte lieber barfuß laufen“, antwortete ich.
„Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst, tust du, was ich dir sage!“, brüllte mein Vater. Fast wäre er aufgestanden und hätte mir eine gelangt, wenn meine Mutter ihm nicht begütigend die Hand auf den Arm gelegt hätte.
Mein Herz zitterte, das eiserne Band bebte. Würde es halten? Ich hatte Angst aber gleichzeitig spürte ich: Dies war „The Point of no Return“. „Ich entscheide selbst, ob ich Pantoffeln anziehe oder nicht“, sagte ich und versuchte stark zu klingen, was mir nicht gelang. Aber immerhin, ich blieb standhaft. Bekam Stubenarrest, den ganzen Tag nichts zu essen.
Zwei Wochen später, in denen mein Vater kein einziges Wort mit mir wechselte, zog ich von zu Hause fort.
Sabine Herrmann
Kein friedvoller Übergang
hinter mir brennt es
in mir brennt es
in der Wohnung brennt es
dicke Qualmwände
verhindern das Atmen
verhindern den Durchgang
heiß glüht der Herd
Glas ist zersplittert
Gedanken zersplittert
kein friedvoller Übergang
wie der Herbst
mit seinem Duft und seinen Farben
es stinkt verbrannt
die Luft verkohlt
schwarze Ränder zeugen Trauer
mein Heim wird abgerissen
mein Nachbar ist schon fort
der Übergang ist schmerzlich
Panik weht statt Friede
zittert heiß in meinem Blut
trübt meinen Blick wie Nebel
alles dreht und rast und schwirrt
kein Übergang nur Untergang
bricht mitten durch mich durch
Annegrete Feckler
Verborgene Wunden
schlafen nie.
Pflaster
schließen sie oberflächlich.
Verbände
verstecken sie.
Langsam vergeht der Schmerz
ganz langsam.
Aber der Brunnen der Zuversicht
ist leer.
Ungeduldig wartet die Seele
auf den Regen.
Noch ist der Schmerz zu spüren –
der Lebensschmerz.
Heilung verspricht nur
das Vertrauen
in die eigene Kraft.
Endlich
füllt sich der Brunnen.
Nach und nach
schließen sich die Wunden.
Es tut nur noch manchmal weh.
Was bleibt, sind die Narben.
nn
Spina vor blauen Wolken
Dornig sein
Friedensfeind
verhindert das Gefressen/ Vernichtet werden
den Stachel die Wunde immer noch spüren
einstiger Verletzungen Zerwürfnisse
es hinnehmen wollen: Einsamkeit,
Brüche, Stückwerk
Spina
einsamer Dornbusch
bewehrt?
wohin flohen Knospen und Blätter?
alle Kraft ins Innere zurückziehen
verwandelt in einen einzigen dornigen Zweig
Wer wird, wer mag sich ihm nähern?
Rückzug um des Überlebens willens?
einst am Wasser gepflanzt
Knospen tragend liebevoll
dem Licht zugewandt
kaum Nahrung
zurückgeführt
auf den dornigen Zweig
Spina
zu bewehrt
um die Nähe des Himmels zu spüren
Angelika G.
Im Zentrum des Seins
Verborgene Wunde
ein Brunnen!
Seelenherz mit abertausenden Faltenspuren,
vernetzt!
Ein dünner Hauch
um Seelenkern,
uralt, die verborgene Wunde!
Ein rotes Meer!
Zarte weiße Blumen sprießen aus der Wunde,
senden blumige Signale ins All.
Deine Tränen fallen in meine Hände,
verwandeln sich in weiße Tauben.
Verborgene Wunde
ein Brunnen
im Zentrum des Seins!
Kamran Djahangiri
Von der Verletzung zur Ruhe
Ich setze mich auf eine Bank am Weiher, wenn ich verletzt bin. Ich bin nicht einverstanden, wie sich eine andere Person verhalten hat. Ich spüre innerlich Schmerzen und bin ganz unruhig. Also setze ich mich auf eine Bank an den nahen Weiher und lasse die Gedanken zur Ruhe kommen. Ich spüre den Atem.
Es tut immer noch weh, aber so langsam beruhige ich mich. Ich gehe ganz ins Hier und Jetzt. Wenn ich in die Schmerzen hinein spüre, so ist zuerst noch Wut über die betreffende Person da. So langsam wird aber der Schmerz von der Ruhe überlagert. Ich kann so mehr und mehr die Natur genießen. Die Wut verrauscht und weicht einer inneren Ruhe. Ich finde Frieden mit mir und der anderen Person. Ich atme ruhig und höre die Geräusche der Natur, das Rauschen des Windes in den Blättern und das Zwitschern der Vögel.
Konrad Folkmann